Ilse Wilhelm
FELDENKRAIS® Practitioner FVD

Aktuell

Arbeit mit der Feldenkrais-Methode – Prozesskomponenten und Auswirkungen

Der Gruppenunterricht in der Feldenkrais-Methode heißt Bewusstheit durch Bewegung. Bewußtheit kann man verstehen als: Wachheit und Präsenz, klares Selbstbild und Selbstverständnis, eindeutige Absicht und die Freiheit zu spontaner Umsetzung. Die Verbesserung von Haltung und Beweglichkeit ist also nicht das vorrangige Ziel, sondern eines der mit Gewissheit zu erwartenden Ergebnisse. Während Bewegungen erprobt und untersucht werden, sind die dabei angewendeten Verhaltensweisen bereits das Mittel, um die Bewusstheit entstehen lassen.

Es geht nicht um bewußtes Bewegen. Das ist besonders beim Musizieren nicht angebracht, es entstünde ja eine Doppelmotivation. Es geht um tiefste Selbst-Einigkeit und Authentizität im Handeln. „Erst wenn du weißt, was du tust, kannst du wirklich tun was du tun willst“ (M.Feldenkrais)

Sich selbst immer besser erkennen, lernen wie man lernt, eigenverantwortliches Handeln – diese Fähigkeiten werden implizit im Gruppenunterricht „Bewusstheit durch Bewegung“ vermittelt. Sie bilden zusammen mit verbesserter Beweglichkeit und verfeinerter Wahrnehmung wohl die vielseitigste Entwicklungsgrundlage, die sich mit Körperarbeit erreichen lässt.

Wesentlich ist hierbei, dass dieses Lernen außerhalb des Instrumental- oder Gesangsunterrichts und frei von Erfolgserwartungen (nicht zielorientiert) stattfindet. Das Ergebnis wird in den Unterricht eingebracht und erleichtert diesen für alle Beteiligten. Die Studierenden können in der empfohlenen Mindest-Teilnahmezeit von zwei Semestern einen Fundus an Bewegungen für weitere Forschung und die Verankerung der Methode im Alltag sammeln.

1. Selbstwahrnehmung verfeinern

Bewegung leichter machen: In der Leichtigkeit bleiben, denn nur sie führt zu immer weiterer Verbesserung. Nicht Muskelkräftigung ist nötig, sondern das Auffinden und Weglassenkönnen von inefffektiver Muskelspannung. Entdecken, wo Anstrengung beginnt.

Über längere Zeit aufmerksam bleiben: Beobachten, ohne zu werten. Neugier immer offen halten. Wissen in Frage stellen, Nicht-Wissen ertragen. Aufmerksamkeit lenken und teilen (Fokus wechseln).

Unterscheiden: Gewohnheit aufspüren und als nicht bewusst ausgeführte Handlung „enttarnen“ wird möglich, wenn Bewegungen in ungewohnten Haltungen und Zusammenhängen erprobt werden. Genauigkeit der Beobachtung und langsame Bewegung (Zeitlupe) lassen auch kleinste Unterschiede entdecken, die sich leichter ins Bewegungsrepertoire integrieren lassen.

Mit Selbstrespekt die eigenen Grenzen erweitern: Schmerz hat eine Ursache, deshalb Schmerzen immer beachten, keinesfalls übergehen. Begrenzungen respektieren, nicht mit Kraft überwinden. Stattdessen Bewegung reduzieren, bis der Schmerz nicht mehr auftritt – bis hin zum Ausführen der Bewegung nur in der Vorstellung. Wenn man vermeidet, an seine Grenzen zu stoßen, bleiben sie undefiniert, immer erweiterbar.

2. Lernen wie man lernt

Pause: Erholung nicht nur für Muskeln und Gelenke, sondern auch für die Aufmerksamkeit. Gehirn braucht Zeit, den Input zu verarbeiten.

Rhythmus und Qualität als Kriterien guter Beweglichkeit: Richtung und Tempo. Übergänge, Fluss, Eleganz – Umkehrbarkeit der Bewegung.

Spielerische Bewegung: Variation, Absichtslosigkeit, destabilisierende Prozesse vorübergehend aushalten – hierdurch Wege und Räume zu neuer Qualität öffnen.

Lernen von innen statt von außen: Eigene Erfahrungen zur Entwicklung nutzen.

Ökonomie beim Krafteinsatz: Kraftentwicklung in der Körpermitte, Arbeitsteilung Zentrum – Peripherie. Wechsel zwischen Anspannen und Lösen der Muskulatur. Den Körper für Bewegung „durchlässig“ machen.

Differenzierung und Koordination/ Integration: Verschiedene Teilfunktionen untersuchen und ihr Zusammenspiel koordinieren. Koordinierte Bewegung wird vom ganzen Körper unterstützt. Auch Atmung ist eine Teilfunktion, zeigt gute oder schlechte Qualität von Bewegung an, koordiniert und erleichtert Bewegung.

Aktive und passive Bereiche unterscheiden: welcher Körperteil führt, welcher folgt.

Interne Funktionsverbesserung: Vorhandene gute Funktionen zu verbessern, wirkt verbessernd auf das Ganze, also auch auf möglicherweise unzulängliche Funktionen. „Nachahmung“ der Funktion einer Körperseite durch die andere Seite. Über die Mitte bewegen klärt Bewusstsein für Mitte / Symmetrieachse.

Wertschätzung des Weges: Fehlerhafte Ausführung mit einer besseren vergleichen zu können, schafft erst die Erkenntnis, die ohne Fehler nie gefunden worden wäre. Kritik aushalten lernen, um sie nutzen zu können.

Vertrauen in die Gesetzmäßigkeit des Zentralen Nervensystems: Lernen ist der Vorstoß ins Unbekannte. Es bewirkt einen Konflikt zwischen dem Bewahren des Vorhandenen, Bekannten und dem Streben nach Verbesserung. Die durch vielfältige Bewegung angeregten neuromuskulären Prozesse integrieren das Neue zum bereits Bekannten. Was nicht integriert wird, tritt in den Hintergrund. Dieser Prozess kann sehr schnell verlaufen, kann aber auch nach Tagen oder Wochen erst abgeschlossen sein. Neue Fähigkeiten erscheinen in Entwicklungs-„Sprüngen“.

3. Kompetenz entwickeln durch Vervollständigung des Selbstbildes,

denn wir handeln gemäß den Grundannahmen, die wir über uns haben – unserem „Selbstbild“

Wahlfreiheit im Handeln: Viele Möglichkeiten zur Verfügung haben, Spielhaltung (am Instrument) finden und wieder verlassen können. Unterschiede sollten deutlich erkennbar sein (und beim Musizieren hörbar).

Bewegungs-Kompetenz, Spontaneität: Bewegungsfreiheit ist wahrscheinlich der Inbegriff von Freiheit überhaupt! Bewegung wird von nicht-bewussten Bereichen des Gehirns gesteuert. Das ist schneller und effektiver als jede Bewegungskontrolle durch den Verstand. Nur so entsteht Spontaneität.

Mobile Stabilität: Stabilität wird möglich durch erleichterte Mobilität. Mobilität bedeutet vorübergehendes Aufgeben der Stabilität. Dieses kann nur gewagt werden, wenn unser Bewegungssystem den Weg zurück in die Sicherheit der Stabilität kennen gelernt hat.

Gefühlsklärung: Bewegung kann auch als Gefühlsbewegung angesehen werden. Beobachtung der Bewegung führt zu klarerem Erkennen von Gefühlen. Grenzen der Belastbarkeit erkennen, in der eigenen Mitte bleiben, sich nicht von Gruppendynamik einfangen lassen.

Absichtsklärung: Absicht klären ist ein Prozess für sich! Unterscheiden, auswählen, Entscheidung treffen. Doppelmotivation verhindert gute Ausführung, man kann nur ein Ziel ansteuern. Hat man zwei, verfehlt man beide! (Beispiel: gute Musik machen vs. musizieren, um Erfolg zu haben)

Präsenz braucht den sicheren Ort: Mitte und Gegenwart. Die Mitte ist, wo die Schwerkraft uns optimal unterstützt. Die Gegenwart ist entsprechend der Zeitpunkt des Handelns, das JETZT. Sobald wir aus der Mitte und aus der Gegenwart geraten, erleben wir Unsicherheit und verlieren die Präsenz. Dann greift unser Nervensystem zur Sicherheit auf alte Gewohnheiten zurück, die zwar länger integriert, aber möglicherweise nicht optimal sind.

Resilienz und Orientierung: Gutes Selbst-Verständnis fördert die Fähigkeit, sich nach Schock oder Trauma zu erholen. Gleichzeitiges Körper- und Raumgewahrsein fördert die Orientierung. Handlungskompetenz in Selbstverantwortung fördert Soziale Orientierung und Kritikfähigkeit.

Asymmetrien des Körpers in Form und Funktion: Dominanz bei Hand, Fuß, Auge, Ohr, Mund ist funktional, eine völlige Gleichheit wäre es nicht. Asymmetrische Bewegungen sind Gewohnheit, führen aber im Laufe der Zeit zu Bewegungsproblemen. Das Lernen von Ausgleichsbewegungen kann zu starken Asymmetrien bewusst entgegenwirken.