Umkehrbare Bewegung
Auszug aus dem Aufsatz von Moshé Feldenkrais „Der körperliche Ausdruck“ (1964)
Allen willentlichen Bewegungen ist unter anderem eines gemeinsam: Sie sind umkehrbar. Wir können im Verlauf der Bewegung jederzeit innehalten und in die Gegenrichtung bewegen oder etwas ganz anderes tun. In den Bereichen des eigenen Selbstbilds, in denen noch kein vollständiges Lernen stattgefunden hat, ist diese Reversibilität nicht möglich. Wenn wir zum Beispiel versuchen, den Kopf nach rechts und gleichzeitig die Augen nach links zu drehen, fühlen wir sofort, was es heißt, wenn eine Bewegung nicht umkehrbar ist. Versuchen wir, diese beiden Bewegungen zwanzigmal oder öfter zu tun, während wir auf den Rhythmus der Atmung achten, so lange, bis es genauso leicht ist, wie die Augen in die gleiche Richtung zu bewegen, werden wir feststellen, dass sich der Muskeltonus im Nacken auf der Seite, in die sich der Kopf gedreht hat, verändert hat. Wenn wir den Kopf nach links und nach rechts drehen, stellen wir fest, dass die rechte Seite freier ist und das Ausmaß der Drehung nach rechts deutlich größer ist als nach links. Zudem ist die Rotation nach rechts einfacher und flüssiger. Die rechte Seite verfügt nun über den Faktor der Umkehrbarkeit und zudem über einen größeren Bewegungsspielraum in der Drehung.
Reversibilität zu erreichen, birgt einen entscheidenden Vorteil: Die Bewegung wird nicht nur flüssiger, sie kann sich auch besser anpassen. Im Alltag neigen wir dazu, Kopf und Augen simultan in die gleiche Richtung zu bewegen, und das wird zur Gewohnheit. Die umgekehrte Bewegung – die Augen also der Drehung des Kopfes entgegengesetzt zu bewegen – ist so selten, dass manche Menschen sie noch nie getan haben. (…)
Hat er die Fähigkeit zur Reversibilität erlangt, fühlt sich der Lernende, als habe er ein rätselhaftes Problem gelöst. Er hat das Gefühl, eine größere Freiheit in der eigenen Selbstkontrolle erreicht zu haben. (…)
Eine Verbesserung des Selbstbilds erweitert die Bandbreite und die Anzahl der verfügbaren Bewegungsmuster. Eine gesteigerte Fähigkeit zur Reversibilität geht demnach einher mit einer allgemeinen Verbesserung unserer bewussten zeitlichen und räumlichen Orientierung. Diese Orientierung ist derart eng mit bewussten Funktionen verbunden, dass sie alle bewussten Handlungen zu durchdringen scheint.
Aus: Moshé Feldenkrais: Verkörperte Weisheit. Gesammelte Schriften. Hrsg. Elizabeth Beringer, Verlag Hans Huber